„Wir sind ohnmächtig im Angesicht der Naturgewalt“
05.11.2021
Forscher und Studierende der LMU waren auf La Palma vor Ort und haben den Ausbruch des Cumbre Viejas untersucht.
05.11.2021
Forscher und Studierende der LMU waren auf La Palma vor Ort und haben den Ausbruch des Cumbre Viejas untersucht.
Das Flugzeug ruckelt einige Male, bevor es auf der Piste aufsetzt. Aus den kleinen Fenstern sehen die Passagiere eine riesige Aschesäule. Kurz danach wird der Flughafen auf La Palma geschlossen: Der Ausbruch des Cumbre Viejas ist allgegenwärtig. Das Rollfeld und viele Straßen gleichen einer Aschewüste, ganze Autos verschwinden unter dem schwarzen Staub und je nach Region hört und sieht man die Eruptionen Tag und Nacht. „Jeder Ausbruch ist auch für uns erprobte Vulkanologen ein dramatisches Erlebnis“, erzählt der LMU-Vulkanologe Dr. Corrado Cimarelli, der mit einer Gruppe von Studierenden, seinen Kollegen Dr. Ulrich Küppers und Dr. Thomas Kunzmann eine Exkursion vor Ort führte. Im Interview erzählt er von seiner Forschung und der Atmosphäre, die auf der Insel herrschte.
Herr Cimarelli, Sie kommen gerade von einer Exkursion auf La Palma zurück. Was war Ziel der Exkursion?
Wir planen jedes Jahr eine Exkursion mit unseren Bachelor-Studierenden auf La Palma und Teneriffa. Das ist immer ein Hands-on-Kurs: Wir gehen mit den Studierenden direkt ins Gelände und zeigen ihnen, welche Spuren ein Vulkanausbruch hinterlässt. Vor Ort analysieren sie dann anhand von Ablagerungen, wie die Ausbrüche in der Vergangenheit aussahen und welche Charaktereigenschaften der Vulkan in seinem Ausbruchsverhalten zeigt.
Die Exkursion war ursprünglich für März geplant, musste dann aber aufgrund der Pandemie-Situation auf Oktober verschoben werden. So haben Sie den Ausbruch des Cumbre Viejas direkt mitbekommen. Ein Glücksfall?
Das lässt sich nur mit einem ambivalenten Gefühl beschreiben. Denn für uns und die Studierenden war der Ausbruch großartig, aus Forschersicht. Wir konnten ihnen direkt vor Ort alles zeigen. Ein Vulkanausbruch ist ein wahnsinnig beeindruckendes Ereignis, man hört die Eruptionen, sieht die Aschewolken, die Lava. Das könnten wir den Studierenden nie im Seminarraum zeigen. Gleichzeitig konnten wir Lehre und Forschung vereinen, haben unsere Instrumente mitgenommen und die Vulkanologen vor Ort in ihrer Forschung unterstützt.
Allerdings war es natürlich auch fürchterlich, vor Ort zu sein und zu sehen, wie Existenzen von Menschen durch den Ausbruch zerstört wurden.
Können Sie die Atmosphäre vor Ort beschreiben?
Der neue Kegel auf Cumbre Vieja überragt mehrere kleine Dörfer, die direkt betroffen waren. Dass Vulkane nicht nur ein Natur-Spektakel sind, sondern konkret Menschenleben bedrohen, ist so das erste Mal seit Langem in Europa der Fall. Das liegt vor allem daran, dass die jüngsten Vulkanausbrüche in Europa im Allgemeinen dünn besiedelte Gebiete getroffen haben.
Wir haben Szenen erlebt, die sehr dramatisch waren und im Gedächtnis bleiben: Eine Tankstelle, die von dem Lavastrom niedergebrannt wird. Ein Familienhaus, das von der Lava eingeschlossen wird und im Garten ein Planschbecken, in dem noch Spielzeug liegt. Autos, die in der Asche versinken, ganze Plantagen und Lebensgrundlagen, die zerstört werden. Das vergisst man nicht.
Es mussten bisher mehr als 7.000 Menschen in Sicherheit gebracht werden, etwa 1.300 Häuser wurden zerstört. Inzwischen haben sich auch neue Lavaströme entwickelt, die sich in den Norden und Süden der Insel ausbreiten.
Das sind natürlich niederschmetternde Zahlen, wenn man daran denkt, dass viele der Menschen nun ihre Existenzgrundlage verloren haben. Zugleich ist es auch sehr beeindruckend, die gute Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte vor Ort zu sehen. Bisher ist kein Mensch gestorben, die Evakuierung hat reibungslos geklappt und, wo nötig, werden sogar Straßentiere mit Drohnen versorgt, das berührt einen sehr.
Viele der Bewohnerinnen und Bewohner kennen das Risiko eines Vulkanausbruchs. Wie haben Sie ihre Reaktionen vor Ort wahrgenommen?
Wir sind den verschiedensten Menschen vor Ort begegnet. Dabei haben wir uns hauptsächlich mit zwei Gruppen unterhalten: Auf der einen Seite gibt es Touristen, die ihre Ferienwohnungen oder -häuser verloren haben. Für sie ist es leicht zu sagen, dass sie wahrscheinlich kein Haus mehr auf La Palma bauen werden.
Auf der anderen Seite haben wir viele Palmeros kennengelernt. Das sind Menschen, die das Risiko des Vulkans in Kauf nehmen. Sie verlieren zwar alles, wohnen aber seit mehreren Generationen auf der Insel und finden etwa im Plantagenbau ihre Existenzgrundlage. Sie haben nicht die Möglichkeit, die Insel zu verlassen.
Dazu kommt, dass ein großer Teil des Landes von den Lavaströmen schier gefressen wurde und es unfassbar lange dauert, das Vulkangestein erneut zu kultivieren und die essenzielle Infrastruktur wiederaufzubauen.
Sie haben nicht nur mit den Studierenden gearbeitet, sondern auch selbst Forschung betrieben. Ihr Schwerpunkt sind Blitze, wie hängen diese mit Vulkanen zusammen?
Blitze entstehen normalerweise in Sturmwolken. Schon Plinius hat den Pompei-Ausbruch beschrieben und dabei von Blitzen gesprochen, die bei dem explosiven Ausbruch zu beobachten waren. Vulkanausbrüche werden zwar vielfach beschrieben, trotzdem ist unser Forschungsschwerpunkt an der LMU noch relativ neu: Wir gehen davon aus, dass Blitze nicht willkürlich bei Vulkanausbrüchen auftreten, sondern im direkten Zusammenhang stehen.
Wir haben das zu Beginn in unserem Labor in der Theresienstraße untersucht: Beschleunigte Asche-Partikel werden in ein Stoßrohr geschickt und mittels einer Hochgeschwindigkeitskamera beobachtet. Dabei konnten wir Blitze sehen, die in der Asche-Wolke entstehen. Als nächsten Schritt wollten wir diese im Gelände beobachten und vor allem herausfinden, welche Parameter für ihre Entstehung ursächlich sind. Im Rahmen eines Großprojekts, das der Europäische Forschungsrat mit einem ERC-Grant fördert, haben wir dafür einzigartige Instrumente entwickelt, die die Blitze messen und analysieren können, der Einsatz auf dem Cumbre Vieja war unser Kick-Start sozusagen.
Können Sie schon erste Erkenntnisse zusammenfassen?
Bisher haben wir schon erkannt, dass die Menge und die Größe von Vulkan-Asche-Partikeln wichtig dafür sind, wie und ob Blitze entstehen. Je kleiner die Partikel sind, desto mehr Blitze gibt es.
Bei unseren Beobachtungen haben wir uns immer gefragt, ob die Größe des Ausbruchs eine Rolle bei der Blitzentwicklung spielt. In La Palma hatten wir nun die Gelegenheit, einen vergleichsweiße kleinen explosiven Ausbruch zu erleben und haben auch hier sehr viele Blitze beobachtet. Für unsere Forschung bedeutet es nun, dass unsere Annahme bestätigt wurde: Beinahe alle Ausbrüche haben Blitze inhärent, und umso wichtiger ist es nun für uns, die Instrumente ausführlich zu testen.
Wie sah Ihre Forschung direkt vor Ort aus?
Als wir mitbekamen, dass der Ausbruch kurz bevorstand, haben wir direkt angefangen alles Nötige zu organisieren, um unsere Instrumente mitnehmen zu dürfen. Vor Ort standen wir dann im engen Austausch mit den Behörden, Wissenschaftlerinnen und Forschern. Wir haben in der Sperrzone des Ausbruchs unsere Instrumente aufgebaut und die Messungen gestartet. Eigentlich war geplant, dass wir unsere Instrumente wieder mitnehmen, doch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen hat so gut funktioniert, dass wir sie vor Ort gelassen haben. Wir arbeiten nun auch von Deutschland aus eng mit den Forscherinnen am Cumbre Vieja zusammen und bekommen so alle nötigen Daten, die wir jetzt auswerten.
Ziel unseres Projekts ist es auch, die Instrumente, die wir entwickelt haben, weiter zu verbessern und in das Portfolio einer Monitoring-Ausrüstung mit aufzunehmen. Der Einsatz während eines Ausbruchs ist dafür natürlich perfekt geeignet.
Aktuell ist ja auch die Vulkaninsel Vulcano, die zu den Liparischen Inseln vor Sizilien gehört, in den Medien, es wurde Warnstufe gelb ausgesprochen. Wie unterscheidet sich der potenzielle Ausbruch von dem in La Palma?
Ich bin Italiener und war bereits als Student viel auf Vulcano unterwegs. Das letzte Mal ist Vulcano 1888-90 ausgebrochen. Der Vulkan zeigt ein sehr eruptives Verhalten und sehr energetische Ausbrüche und ist damit viel gefährlicher als der Cumbre Vieja. Allerdings sind nicht so viele Menschen direkt bedroht, da hier nur im Sommer viele Touristen sind oder Italiener ihre Ferienhäuser besuchen. Im Winter sind deshalb nur wenige hundert Menschen da, das macht die Evakuierung im Falle eines Ausbruchs leichter. Die Behörden haben inzwischen schon die ersten Familien in Sicherheit gebracht, da der Vulkan sich zurzeit deutlich bemerkbar macht. Er atmet aktiv, der Boden des Kraters ist bereits zwei Zentimeter in die Höhe gewachsen und es treten auf der ganzen Insel diffuse Gase aus, die sehr gefährlich werden können und sich in Tälern oder Kellern sammeln.
Anhand Vulcanos wurden übrigens viele Maßstäbe für Vulkane gesetzt. Von ihm stammt auch der Name „Vulkan“.
Die Gegenden um Vulkane sind häufig dicht besiedelt, die Menschen leben immer mit einem Risiko. Nehmen wir als Beispiel den Vesuv, der ja wirklich dicht an Neapel liegt. Wie könnte man einem möglichen Ausbruch hier begegnen?
Im Angesicht solcher Naturgewalt sind wir ohnmächtig. Wir können nichts tun, außer die Vulkane mit einem engmaschigen Netz an Instrumenten und Kontroll-Mechanismen zu versehen. Zudem muss die Zusammenarbeit der Behörden stimmen. Denn wir haben zwar die nötigen Instrumente, um Vorhersagen treffen zu können. Trotzdem sind die oft nur sehr kurzfristig möglich. Vor allem der Vesuv ist eine organisatorische Herausforderung, da hier nicht wenige hundert Menschen, sondern hunderttausende Menschen in Sicherheit gebracht werden müssten.
La Palma beispielsweise hat Magmen, die nicht so explosiv austreten. Dort war genügend Zeit, um alle Menschen in Sicherheit zu bringen. Wäre das auf dem Vesuv passiert, wäre die Zeit wohl knapp geworden, da er wesentlich explosiver ist. Neben der engmaschigen Überwachung ist es deshalb auch entscheidend, proaktiv zu arbeiten und die Gebiete um Vulkane so zu planen, dass nicht zu viele Menschen dort wohnen.